Architektur und Gelebter Raum¹

Man kann bei Architektur das Gebaute nach einem Stil oder einer Typologie kategorisieren oder die Baukonstruktion mit dem verwendeten Material beschreiben. Die übliche Herangehensweise ist, dass nach dem Zweck und der Funktion eines Gebäudes gefragt wird. Dabei steht ein Objekt im Mittelpunkt des Interesses, das ‚Was‘ eben. Bereichert wird diese Betrachtung durch die Frage, ‚wie‘ man die Architektur erlebt, wie sie sich im alltäglichen Gebrauch und handeln entfaltet, wie man sich durch ein Haus hindurch bewegt und welche Atmosphären mit dieser oder jener Architektur erzeugt werden; welche Gefühle hierdurch ausgelöst werden. In den letzten Jahren hat sich ein Forschungszweig entwickelt, der Fragen nach dem subjektiven Erleben von Raum und Architektur nachgeht. Dabei geht geht es darum, das subjektive Erleben durch begriffliche Artikulation in einen objektivierbaren Diskurs zu überführen.

Wie Raum vom Menschen subjektiv erlebt oder ‚gelebt‘ wird, beschäftigt die Wahrnehmungsforschung und Psychologie schon seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Karlfried Graf von Dürckheim hat hierfür den Begriff des ‚gelebten Raumes‘ geprägt. Hier – beim ‚gelebten Raum‘ – ist der Mensch der Ausgangspunkt und nicht das Architekturobjekt, nicht der ‚Gefäßraum‘ mit seinen geometrischen Abmessungen und bestimmten Materialeigenschaften. Das Forschungsprojekt ‚gelebter Raum‘ setzt sich mit der Wirkung von Architektur auseinander, geht auf das Wechselspiel zwischen Architektur und Raumerleben ein. Beides lässt sich nicht säuberlich voneinander abtrennen, was man bei einem Dialog über Architektur nicht vergessen sollte.

„Um aber wirklich populär zu werden“, so Alban Janson, „muss die Architektur als pralle Lebenswirklichkeit erfahren werden. Nicht verdünnt auf vordergründige Reize und billige Effekte wie in den meisten sogenannten ‚Erlebniswelten‘, auch nicht durch die zunehmende Verlagerung der Architektur ins Oberflächendesign. Denn tatsächlich wird Architektur räumlich erlebt.“²

Dr. Jörg Heiler

¹ Text publiziert in: Architektur im Allgäu 1990-2005, 2005, Hg. architekturforum kempten, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg

² Janson Alban, „Ein Scherzo in Zitronenholz“ in: Untersuchungen zum Gelebten Raum, Natur – Raum – Gesellschaft, Band 4, 2005, Hg. Hasse Jürgen, Selbstverlag Institut für Didaktik der Geographie, Frankfurt am Main